Alles auf agil - und «klassisch» ist nur noch etwas für Zurückgebliebene?

Agile Methoden wie Scrum, SAFe oder Kanban sind wunderbare Methoden für das Lösen von komplexen Problem- und Fragestellungen. Sind diese Methoden das neue Allerheilmittel um alle unsere Herausforderungen zu meistern? Wenn ich gewissen agilen Evangelisten und Propheten zuhöre, dann scheinen agile Methoden das neue Wundermittel für das Lösen aller unserer Herausforderungen zu sein.

Von Mike Hubmann

Aber wie schon Paul Watzlawick gesagt hat, wenn Du nur über einen Hammer verfügst, so ist jedes Problem ein Nagel. Ich bin überzeugt von agilen Methoden, aber ich bin auch überzeugt, dass agile Methoden nicht in jedem Fall Sinn machen.
Nehmen wir zum Beispiel eine Firma welche Solarpanels auf Hausdächern installiert. Jede Installation ist ein Projekt, da einmalig und es einen Anfang und ein Ende gibt. Würden Sie dem Firmeninhaber anraten zukünftig seine Solarpanels bei den Kunden agil zu montieren?  Selbstverständlich könnten wir Solarpanels agil montieren. Wir würden in jedem Sprint festlegen, warum dieser Sprint gerade besonders wertvoll ist, welches Ziel wir in diesem Sprint erreichen wollen, definieren welche Ergebnisse wir in diesem Sprint erreichen und welche Tasks es zum Erreichen der gewünschten Ergebnisse braucht. Dann würden wir täglich in einem Standup Meeting die Tagesplanung aktualisieren und anpassen. Macht dieses Vorgehen für die Installation von Solarpanels wirklich Sinn?

Agil oder klassisch: Auf das gewünschte Ergebnis kommt es an

Wenn ich Solarpanels installieren würde, dann würde ich sehr viel Wert auf eine effiziente Abwicklung der Projekte legen und auf eine gute Teamarbeit achten. Für eine effiziente Abwicklung helfen mir Checklisten und vordefinierte Schritte im Arbeitsprozess. Zum Start in den Tag würde ich mit meinem Team ein kurzes Standup Meeting machen, den Tag planen und angemessen auf Unvorhergesehenes reagieren. Aber wahrscheinlich würde ich auf Sprints und die Plannings von Sprints verzichten.

Verschiedene Faktoren bestimmen die Wahl des Vorgehensmodells

Wir haben heute so viele Methoden und Tools zur Hand. Um Erfolge feiern zu können, ist es essentiell je nach Kontext und Situation die richtigen Methoden, Vorgehensweisen und Tools auszuwählen. Die Wahl des für die Situation am besten geeigneten Vorgehensmodelles hängt von verschiedenen Faktoren ab:

Ausprägung des Projektes:

  • Für ein Standardprojekt empfiehlt sich die klassische Vorgehensweise
  • Für ein Akzeptanz-, Potential- oder Pionierprojekt ist eher eine agile oder hybride Vorgehensweise zu empfehlen.

Die Projektart gibt sehr oft ein Vorgehensmodell vor. Bauprojekte werden nach entsprechender Branchen‐Norm abgewickelt wie beispielsweise der des Schweizer Ingenieur- und Architektenvereins SIA.

Komplexität der Aufgabenstellung

  • Mit dem Cynefin‐Framework (David J. Snowden) und der Stacey‐Matrix kann die Komplexität der Aufgabenstellung, resp. des Projektes bestimmt werden.
  • Für einfache oder komplizierte Aufgabenstellungen eignet sich eher die klassische, für die Lösung komplexer und chaotischer Aufgabenstellungen hingegen eher eine agile Vorgehensweise.
     

Stabilität der Anforderungen

  • Für volatile Anforderungen eignet sich eher eine agile Vorgehensweise.
  • Bei stabilen Anforderungen bringt die klassische Vorgehensweise mehr Sicherheit und Planbarkeit in der Umsetzung.
  • Weiter ist zu überlegen ,wie mit Änderungen im Projekt umgegangen werden soll.

Kompetenzen, Qualifikationen und Erfahrungen der Mitglieder des Projektteams sowie Affinität des Managements zur Agilität sind weitere entscheidende Faktoren.

Geplante Teamgrösse

  • Für kleine Teams mit weniger als neun Personen sind agile Methoden sehr gut geeignet.
  • Große Teams können beispielsweise mittels LeSS (Large Scaled Scrum) oder SAFe (Scaled agile Framework) sehr gut agil arbeiten, wenn sie profunde Kenntnis und Erfahrung in der Anwendung von agilen Methoden haben. Ansonsten empfiehlt sich eher ein hybrider oder klassischer Ansatz.

Räumliche Verteilung des Projektteams

  • Für agiles Vorgehen ist es empfehlenswert, dass das Projektteam in einem gemeinsamen Raum oder wenigstens im gleichen Gebäude arbeitet.
  • Die Anwendung agiler Methoden in verteilten Projektteams ist anspruchsvoll. Daher ist bei räumlicher Verteilung ein hybrider oder klassischer Ansatz zu prüfen.

Die Wahl eines geeigneten Vorgehensmodelles ist eine anspruchsvolle Aufgabe

Sie soll am Anfang durch den Auftraggeber zusammen mit dem Projektleiter erfolgen. Ein Wechsel des Vorgehensmodells im Projektablauf ist möglich, sollte aber gut überlegt und bewusst vollzogen werden. Von Ad‐hoc‐Änderungen im Vorgehensmodell rate ich ab.