Sinn-Erleben im Beruf – das ist gerade in unruhigen Zeiten ein Pfeiler für Stabilität und Durchhaltenkönnen
Von Christian Bachmann:
Möglicherweise haben Sie sich während der Pandemie die Sinnfrage öfters gestellt als auch schon. Gewohnheiten, Strukturen, Beziehungen oder Leistungsvermögen, die unserem Leben bis anhin bewusst oder unbewusst Sinn gaben, sind eingeschränkt worden.
Die Sinnforscherin Tatjana Schnell (www.sinnforschung.org) unterscheidet zwischen „Lebenssinn“ (meaning in life) und „Sinn des Lebens“ (meaning of life). Ob es einen Sinn des Lebens gibt, ist eine philosophische oder theologische Frage. „Meaning in life“ stellt jedoch die Frage, wie Menschen ihrem eigenen Leben Sinn geben.
„Sinn ist das, was Bedeutung hat.“ Tatjana Schnell
Natürlich macht Ihr Job per se Sinn. Er ermöglicht Ihnen zuerst einmal die wirtschaftliche Existenz. Aber welche Bedeutung hat er für Sie? Können Sie in Ihrer Arbeit wertvolle persönliche Kompetenzen zur Anwendung zu bringen? Die «Kompetenz-Erfahrung» dient als wichtiges sinnstiftendes Element in unserem Beruf: Wir erfahren, dass wir für andere Menschen Leistungen erbringen können, die bedeutsam sind.
Nach Tatjana Schnell basiert das persönliche Sinnerleben auf vier Indikatoren:
- Kohärenz: Die Dinge erscheinen stimmig. Ich fühle mich wohl in meiner (Berufs-) Rolle, weil sie zu meinem Charakter, zu meinen Fähigkeiten und Bedürfnissen passt. Das bedeutet aber auch, dass wir uns lernen zu bejahen, in dem was wir sind. Eckart von Hirschhausen bring das wunderbar zum Ausdruck in seiner Analogie mit dem Pinguin: Schauen Sie hier
- Bedeutsamkeit: Was ich tue, ist für mich bedeutsam und auch für andere. Das Erreichen eines persönlichen Ziels macht noch nicht glücklich, sondern nur die Bedeutung, die wir diesem Ziel geben. Jens Corssen in: „Selbstoptimierung macht nicht glücklich“, NZZ 18.12.20.
- Orientierung: Ich nehme eine gewisse Richtung wahr in meiner persönlichen Entwicklung. Die Energie, die ich investiere, steht in einem guten Verhältnis zu den erreichten Ergebnissen.
- Zugehörigkeit: Ich erfahre mich als Teil eines grösseren Ganzen. Die Integration in einen übergeordneten Kontex, seien es meine Arbeitskolleg*innen, mein Team oder meine Firma, vermitteln mir ein Gefühl der Verantwortung und des Gebrauchtwerdens.
«Wir verlangen, das Leben müsse einen Sinn haben – aber es hat nur ganz genau so viel Sinn, als wir selber ihm zu geben imstande sind.» Hermann Hesse
Schlussendlich sind Sie es immer selber, die Ihrem Beruf und ihren Berufszielen Bedeutsamkeit geben können. Der Sinn ist eine wichtige intrinsische Motivationsquelle für unsere Arbeit und hat auch auf unsere Resilienz einen starken Einfluss. Zuviel Sinn im Beruf hat nach Tatjana Schnell aber auch Gefahren. Dies führt dann zu einem „Over-Commitment“ und damit zu einer möglichen Selbstausbeutung.
„Ob Gift oder Medizin, entscheidet das Mass.“ nach Paracelsus
Wie so oft im Leben ist es das gute Mass, welches uns hilft, die Balance zu halten. Die Arbeit soll nach Möglichkeit eine wichtige Sinnquelle sein, sie darf aber sicher nicht die einzige bleiben. In unserem Privatleben, in unserer Freizeit gibt es eine Vielzahl von Sinnquellen, die wir uns wieder bewusst machen oder die wir neu erschliessen können.
„Upside“ oder „Downside“ Strategie?
Oft ist es jedoch schwierig, für sich selber positiv formuliert festzulegen, wie die Arbeit oder unser Privatleben sinnvoller werden könnte. Rolf Dobelli (NZZ 9.9.2017) stellt der «Upside» Strategie – in diesem Fall also der Frage, wie ich mehr Sinn erfahren könnte - die «Downside» Strategie entgegen: Hier geht es um die Frage: «Was erlebe ich als sinnlos?» Meistens können wir die als sinnlos erlebten Erfahrungen klar benennen und damit auch angehen: Wir können unsere Aufgaben und Verantwortlichkeiten anpassen (Rollenklärung), Aufgaben delegieren, latente Konflikte ansprechen oder uns öffnen für neue Erfahrungen, Aufgaben oder Beziehungen.
«Der Sinn des Lebens besteht darin, seine Individualität in Übereinstimmung mit der Umwelt zu leben. » Remo Largo
Das Wort «Sinn» stammt aus der indogermanischen Wortgruppe «Sent», was so viel heisst wie eine Richtung nehmen, eine Fährte suchen. Für das neue Jahr wünsche ich Ihnen, dass Sie weiter auf der Fährte Ihres persönlichen Lebenssinns bleiben. Oft gehen nicht alle unsere Wünsche und Hoffnungen in Erfüllung. Und trotzdem ist es unsere Verantwortung, uns immer wieder neu nach dem Sinnstiftenden auszurichten und so unsere Individualität in bestmöglicher Übereinstimmung mit der Umwelt zu leben.
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